31. Januar 2022
„Die pandemische Situation ist auch im laufenden Semester noch nicht ganz überwunden. Die Jura-Fakultäten im Land haben viel dafür getan, den Lehrbetrieb so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. […] Trotzdem hat es Einschränkungen gegeben, die das Lernen erschwert haben. Nicht alle Angebote standen immer und uneingeschränkt zur Verfügung. Daraus sollen den Studierenden keine Nachteile erwachsen.“ Das sagte die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza im Sommersemester 2021 als sie die erneute Nichtanrechnung des Semesters auf den Freischuss verkündete. Ähnlich äußerten sich die Justizministerien in Nordrhein-Westfalen. In der Stellungnahme zur Freischussverlängerung heißt es dort: „Auch im Sommersemester 2021 kann der und Studienbetrieb nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden. Präsenzveranstaltungen finden nicht statt. […] Ein wissenschaftlicher Diskurs zwischen Lehrenden und Lernenden ist ebenso wie der Austausch unter den Studierenden kaum oder nur eingeschränkt möglich.“
Im noch laufenden Wintersemester 2021/22 bleibt die Lage kritisch und es kann allenfalls von Verschlechterung die Rede sein. Die Inzidenz ist so hoch wie noch nie zuvor – auch unter den Studierenden – und trotz der als geringer eingeschätzten Gefährlichkeit der Omikron-Variante finden aufgrund ihrer höheren Ansteckungsrate viele Veranstaltungen wieder digital statt. Eine Vielzahl der Studierenden meidet den meist überfüllten Hörsaal aus Angst um eine Ansteckung. Zwar verläuft die Infektion in vielen Fällen mild(er), trotzdem verlieren Studierende ein bis zwei Wochen durch die Isolation oder sogar schon durch Quarantäne, ohne infiziert zu sein. “Einschränkungen, die das Lernen erschweren”, so hätte das Land Niedersachsen diese Situation im vergangenen Sommersemester noch bezeichnet.
Während Bayern, Sachsen, Hessen und Baden-Württemberg bereits das richtige Zeichen gesetzt haben und die Nichtanrechnung des Wintersemesters auf den Freischuss bekanntgegeben haben, heißt es aus Berlin-Brandenburg man „prüfe die Situation“. Anhand welcher Kriterien man prüft, wird leider nicht spezifiziert. Und auch die restlichen Bundesländer müssten – wenn sie die gleichen Maßstäbe anlegen, wie in den vergangenen Semestern – die Nichtanrechnung bereits bekanntgegeben oder dies in den kommenden Tagen endlich tun. Derzeit scheint es jedoch, als würden die JPAs der anderen Bundesländer davon ausgehen, dass der Normalzustand wiederhergestellt und ein wissenschaftlicher Diskurs unter Studierenden möglich sei und dass Präsenzveranstaltungen wieder in vollem Umfang stattfinden könnten. Aus der Studierendenschaft häufen sich hingegen die Stimmen, die monieren, dass Leben und Studium noch immer von Corona dominiert und diktiert werden. Studierende, die in diesem Semester wieder keine Vorlesung in Präsenz hatten und die von der Gesamtsituation be- und überlastet sind.
Deshalb fordert der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. eine Nichtanrechnung auch des Wintersemesters 2021/22 auf den Freischuss.
Dabei muss im Vordergrund stehen, dass der Normalzustand, der vor dem Ausbruch der Pandemie herrschte, noch nicht wiederhergestellt ist. Vorlesungen, AGs, Tutorien und andere Veranstaltungen finden vielerorts immer noch – oder schon wieder – online statt. Auch wenn sich die digitale Lehre seit Beginn der Pandemie verbessert hat, reicht sie nicht an das Niveau von Präsenzveranstaltungen heran. Selbst Fakultäten, die zu Beginn des Semesters vollständig zum Präsenzbetrieb zurückgekehrt sind, haben zumindest zum Teil wieder auf digitale Lehre umgestellt. Ein weiteres Problem ist, dass an vielen Universitätsstandorten die Bibliotheken nicht vollständig ausgelastet werden dürfen. Viele Studierende können sich im heimischen Umfeld schlechter konzentrieren oder brauchen die Trennung zwischen Arbeit und Privatem, die die Bibliothek ihnen bietet.
Darüber hinaus finden an einigen Fakultäten erneut Klausuren in digitaler Form statt, was weder zur Chancengleichheit beiträgt, noch eine realistische Übungsmöglichkeit für das analoge Staatsexamen darstellt.
Vor allem aber fordern wir die Bundesländer auf, die Corona-Semester auch bei der Berechnung etwaiger Freischussobergrenzen (vgl. v.a. § 26 HmbJAG) außer Acht zu lassen. Insofern wäre auch eine Harmonisierung zwischen den Bundesländern wünschenswert, die von den JPAs in anderen Bereichen immer wieder eingefordert wird. Dass Studierende, die ihr Studium im Wintersemesters 2019/20 begonnen haben, in Bayern vier Freisemester bekommen, in Hamburg jedoch nur zwei, ist im Hinblick auf das Studienziel Staatsexamen, das immer mit seiner deutschlandweit guten Vergleichbarkeit wirbt, schlicht nicht zu rechtfertigen. Auch mit Blick auf Freisemester, die für Fachschaftsarbeit, Moot Courts, Zusatzqualifikationen o.ä. verliehen werden, schafft eine undifferenzierte Obergrenze Missmut: Auch das Engagement neben dem Studium ist durch die Pandemie erschwert worden und mit ständigen Rückschlägen verbunden. Soll mit der Nichtanrechnung eine Anerkennung freiwilliger Zusatzarbeit verbunden sein, wirkt diese Obergrenze wie ein Schlag ins Gesicht.