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15. März 2023

Das Studium der Rechtswissenschaften ist in seinem Verlauf stark geprägt von psychischen und physischen Belastungen. Diese Belastungen steigen mit dem Näherrücken der staatlichen Pflichtfachprüfung. Jene gilt im studienübergreifenden Vergleich als eine der anspruchsvollsten Prüfungen und bildet den Grundstein der beruflichen Zukunft eines/einer jeden Jurist:in. Der bisher angewandte Verlauf der staatlichen Pflichtfachprüfung
sieht in der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer Ruhetage zwischen den Examensklausuren vor. Diese dienen vor allem der Erholung zwischen den fordernden Klausuren. Nach jüngsten Erkenntnissen sollen jene aber der Vergangenheit angehören und schrittweise bundesweit gestrichen werden. In Baden-Württemberg beispielsweise soll ab der Herbstkampagne 2023 lediglich ein Ruhetag bestehen bleiben, welcher wiederum ab der ersten Examenskampagne 2026 wegfallen soll.

Die Begründung der Streichung fällt in den jeweiligen Bundesländern unterschiedlich und unzureichend aus. So wird in Schleswig-Holstein der Wegfall anhand von finanziellen Erwägungen gerechtfertigt, während in Baden-Württemberg die Umstellung auf das E-Examen angeführt wird. In der Berichterstattung der digitalen Zeitschrift Jurios nennen die zur Stellungnahme aufgeforderten Justizprüfungsämter schließlich den so genannten “Ringtausch” als weitere Begründung.

Die Widersprüchlichkeit der verschiedenen Begründungen zeigt einmal mehr, wie vermeintliche Gründe der Organisation vorgeschoben werden, um die Unwilligkeit zu verschleiern, in die juristische Ausbildung wirklich finanziell zu investieren. Es ist gut und richtig, dass nun fast alle Bundesländer das E-Examen angehen. Doch dürfen damit verbundene und jedwede anderen finanziellen Defizite nicht zu Lasten der Examenskandidat:innen gehen. Weiterhin überzeugt es nicht, dass die jeweiligen Prüfungsämter der Länder auf einen wechselseitigen Druck verweisen, die Prüfungszeiträume zu vereinheitlichen. Diese Argumentationen verlaufen strukturell im Sande. Angesichts der zahlreichen bestehenden Probleme wirkt eine solch einseitige Entscheidung der Justizprüfungsämter wie eine Farce. Anstatt sich ernsthaft mit konstruktiven Lösungen zu einer wirklichen Reform des Jurastudiums auseinanderzusetzen, werden ständig neue Probleme geschaffen. Dass dadurch die Attraktivität der juristischen Ausbildung nur noch weiter leidet, ist offenbar. Und diese ist notwendiger denn je:

Zwar ist die Zahl der Studierenden, welche sich für das Jurastudium einschreiben, weitestgehend konstant hoch. Seit 2007 ist diese in den Jahren 2020 und 2021 aber erstmals etwas gesunken. Die Absolvent:innenzahlen nehmen seit 1996 sogar fast stetig ab. Während es 1996 noch 12.573 Studierende waren, die die erste juristische Prüfung absolvierten, waren es 2020 nur noch 9.028 Studierende. Das spiegelt sich auch in der Berufswelt wider. Dort fehlen aktuell mehr als 1000 Richter:innen und Staatsanwält:innen bundesweit. Dies wird noch dramatischer, wenn bis 2030 ca. 40% der Richter:innen und Staatsanwält:innen pensioniert werden. Es herrscht also ein akuter Nachwuchsmangel und nichts weniger als die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats hängt davon ab.

Und dennoch werden Reformbestrebungen, die dem bereits vorhandenen und künftig steigenden Mangel an Jurist:innen entgegenwirken sollen, in den überwiegenden Fällen zurückgewiesen und die Ausbildung durch solche Entscheidungen künstlich erschwert.

Gerade anhand des Umgangs mit dem Dauerproblem des psychischen Drucks zeigt sich die mangelnde Berücksichtigung studentischer Perspektiven und Realitäten in der Ausgestaltung und Organisation der juristischen Ausbildung. Es ist allseits anerkannt, dass Studierende, insbesondere in der Examensvorbereitung, enorm unter sich auch physisch äußerndem Stress leiden. Das JurSTRESS-Projekt der Universität Regensburg wies den überdurchschnittlichen und teils extremen Druck bei Examenskandidat:innen nun sogar objektiv nach.

Eine Reduzierung von Ruhetagen in der Examenskampagne schafft hierbei keine Abhilfe, sondern intensiviert die bereits präsenten Herausforderungen. Den Studierenden wird wichtige Regenerationszeit genommen, derer es bedarf, um unter humanen Prüfungsbedingungen den schriftlichen Teil der staatlichen Pflichtfachprüfung zu absolvieren und sich zwischen den einzelnen Rechtsgebieten umzustellen. Ausgerechnet aber die Regenerationszeit, welche unter anderem die Ruhetage ermöglichen, ist für die Psyche und den Körper in dieser Zeit essenziell. Ein häufig aufkommendes Problem unter Studierenden ist dabei die Erkrankung der Sehnenscheide, bei der es bekanntermaßen der Schonung bedarf. Tritt dies während der Examensklausuren auf, bleibt den Betroffenen die Wahl zwischen einem Abbruch des Prüfungsversuchs, bei dem alle bisher angefertigten Klausuren verfallen, und dem schmerzbehafteten Weiterschreiben, was unter Umständen langfristige Schäden verursachen kann. Es scheint, als ob die Gesundheit der Studierenden in den Erwägungen einiger Justizprüfungsämter kaum eine Rolle spielt. Ein attraktives, gar erstrebenswertes Studium sieht anders aus. Ferner noch sollte das erste juristische Staatsexamen fachliche Kompetenzen prüfen und nicht immer mehr zur Belastungsprobe verkommen.

Und genau hier findet sich auch die Ursache für den Rückgang der Absolvent:innenzahlen. Zahlreiche Kandidat:innen gehen uns über die Zeit des Studiums und insbesondere in der Examensvorbereitung bzw. – absolvierung verloren, da der Druck und die psychische Belastung über sie hinauswächst. Diese Studierenden sind jedoch keinesfalls weniger leistungsfähig oder schlechtere Jurist:innen, sondern werden von den Studienbedingungen förmlich gezwungen ihr Jurastudium ohne einen – teilweise nicht einmal versuchten – Abschluss zu beenden. Kaum ein anderer Studiengang hat eine solch hohe Abbruchquote wie das Jurastudium. Wertvolles Potential und viele notwendige Perspektiven und Biografien bleiben so auf der Strecke. Die im Mai 2022 getroffene Entscheidung der Justizprüfungsämter verschlimmert diese Ausgangslage.

Viel eher müssten die Fakultäten und die JPAs dort ansetzen: Es braucht strukturelle Reformen der juristischen Ausbildung und vor allem eine bessere Finanzierung, sodass Examenskandidat:innen nicht unter noch unsäglicheren Bedingungen eine staatliche Prüfung absolvieren müssen. Gleichzeitig muss das juristische Staatsexamen erstmals einer umfassenden prüfungswissenschaftlichen Untersuchung unterzogen werden, um die (Un-)Sinnhaftigkeit des bisherigen Modells und der damit verbundenen Widersprüche zu bewerten.

Besonders ernüchternd ist es, dass diese Entscheidung bereits im Mai 2022 getroffen wurde ohne jedwede studentischen Interessensvertretungen – zumindest beratend – miteinzubeziehen. Weder die Landesvertretungen der juristischen Fachschaften noch der Bundesverband wurden darüber in Kenntnis gesetzt oder gar um eine dahingehende Positionierung gebeten, obwohl auf beiden Ebenen ein regelmäßiger Austausch existierte. Dennoch handelt es sich um eine so weitgehende Änderung, die der studentischen Beteiligung dringendst bedarf. Dass eine solche Entscheidung unter Ausschluss derjenigen Gruppe getroffen wurde, die davon am meisten betroffen ist, zerstört das Vertrauen der Fachschaften in die Prüfungsämter und die dortigen Entscheidungsträger:innen. Auch das Vertrauen der Studierenden in die Behörden wird durch ein solches Vorgehen erschüttert. Zwar wird studentische Interessensvertretung im juristischen Bereich oft von Seiten der Prüfungsämter gelobt, doch können wir nicht verstehen, warum die studentische Perspektive in den entscheidenden Momenten dann nicht in Entscheidungsprozesse einbezogen wird, zumindest durch die Möglichkeit der Stellungnahme. Der Beschluss der Justizprüfungsämter steht so exemplarisch für eine Organisation der juristischen Ausbildung abseits jeglicher studentischen Belange oder Perspektiven.

Als Vertretung der über 110.000 Jurastudierenden in Deutschland fordert der BRF daher:

  • Die Rücknahme des Beschlusses aus dem Mai 2022 und die Neubewertung der jeweiligen Prüfungstermine durch die einzelnen (Landes-) Justizprüfungsämter
  • Eine Aussprache mit Vertreter:innen des BRF zu diesem Beschluss und seiner Entscheidungsfindung im Koordinierungsausschuss der Justizminister:innenkonferenz
  • Eine ernsthafte, selbstkritische und konstruktive Reformdebatte, die die studentische Perspektive gleichberechtigt miteinbezieht und aktuelle Entwicklungen, wie die iur.Reform-Umfrage, berücksichtigt
  • Eine umfassende prüfungswissenschaftliche Untersuchung des bisherigen Modells des juristischen Staatsexamens
  • Mittelfristig eine umfassende Reform der juristischen Ausbildung in Deutschland und kurzfristig eine Einführung des integrierten LL.B. an allen deutschen juristischen Fakultäten

Wir laden außerdem andere studentische Verbände und Gruppen, sowie andere juristische Berufsvertretungen und Organisationen ein, sich unserer Stellungnahme anzuschließen. Wir stehen für eine konstruktive Diskussion miteinander bereit und freuen uns über den Austausch zum Wohle der juristischen Ausbildung und der Jurastudierenden in Deutschland.