02. Juli 2024
Ende Mai 2024 wurde bekannt, dass für das kommende Haushaltsjahr drastische Kürzungen der Einstellungszahlen in den juristischen Vorbereitungsdienst in Nordrhein-Westfalen geplant sind. Einen Monat später gab das Landesjustizprüfungsamt Nordrhein-Westfalen (LJPA) in einem Hinweisschreiben weitere Änderungen bekannt. Schon für Rechtsreferendar:innen, die ab Dezember dieses Jahres ihre Aufsichtsarbeiten anfertigen, soll das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis verkürzt werden, indem die mündliche Prüfung um einen Monat vorverlegt wird. Daneben soll künftig die Unterhaltsbeihilfe nur noch bis zum Tag der mündlichen Prüfung statt bis zum Ende des Monats, in welchem die mündliche Prüfung liegt, gezahlt werden.
Die Referendariatskommission (RefKo) beim Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. (BRF) und die Landesfachschaft Jura Nordrhein-Westfalen e.V. (LFS NRW) kritisieren diese geplanten Sparmaßnahmen sowie die Vorgehensweise aller an der Entscheidung beteiligten Akteur:innen aufs Schärfste.
Einsparungen zulasten des juristischen Vorbereitungsdienstes
Als Hintergrund für die geplanten Sparmaßnahmen führt das Justizministerium das aktuelle Haushaltsaufstellungsverfahren für das Jahr 2025 an. Die schwache Konjunktur hinterließe auch Spuren in Nordrhein-Westfalen und führe zu engen finanziellen Rahmenbedingungen, die es nötig machen würden, auch im juristischen Vorbereitungsdienst zu sparen.
Selbst eine noch so angespannte Haushaltslage darf nicht dazu führen, dass die bereits begrenzten Kapazitäten in der juristischen Ausbildung weiter sinken. Seit Jahren ist der juristische Vorbereitungsdienst nicht auskömmlich finanziert und bleibt hinter den Anforderungen an eine zeitgemäße und zukunftsgerichtete Ausbildung zurück. Bereits jetzt besteht ein enormer Mangel an qualifiziertem juristischem Nachwuchs vor allem in der Justiz. Hinzu kommt eine Pensionierungswelle erheblichen Ausmaßes, die unmittelbar bevorsteht.
ßes, die unmittelbar bevorsteht.4 Ein starker Rechtsstaat erfordert eine handlungsfähige Justiz, die personell hinreichend mit Volljurist:innen ausgestattet und finanziell in der Lage ist, die Herausforderungen der heutigen Zeit zu meistern. Finanzielle Einsparungen bei der juristischen Ausbildung wirken sich mittelfristig auch auf die Funktionsfähigkeit der Justiz insgesamt aus. Der bestehende Personalmangel führt zu langen Verfahren und erschwert den Zugang zum Recht für alle Bürger:innen. Dies kann zu nicht zu unterschätzenden Folgen auch für das Vertrauen der Bevölkerung in die rechtsstaatlichen Institutionen führen. Wer jetzt weniger Volljurist:innen ausbildet, verschärft dieses Problem, schwächt die Justiz und damit im Ergebnis den Rechtsstaat.
Reduzierung der Neueinstellungen in den juristischen Vorbereitungsdienst
Dennoch plant das Justizministerium bereits zum 1. Januar 2025 die Anzahl der sich in Ausbildung befindenden Referendar:innen um ein Achtel von momentan ca. 3.800 auf 3.300 zu reduzieren. Perspektivisch ist eine Reduzierung der Ausbildungsplätze um ca. 20 %, auf insgesamt nur noch 3.000 Rechtsreferendar:innen, vorgesehen.
Als Rechtfertigung für diese Maßnahme wird unter anderem angeführt, dass Nordrhein-Westfalen Jurist:innen über den eigenen Bedarf hinaus ausbilde. Diese Argumentation überzeugt nicht.
Im juristischen Vorbereitungsdienst in Nordrhein-Westfalen befinden sich zwar insgesamt 24 % der deutschen Rechtsreferendar:innen, während dagegen nur 18 % der Absolvent:innen die erste Prüfung in Nordrhein-Westfalen ablegen. Die Hochschulplatzvergabe orientiert sich jedoch nicht an dem zukünftigen Bedarf an Volljurist:innen in dem jeweiligen Bundesland, sondern an den Kapazitäten der dort angesiedelten Hochschulen. Eine Gegenüberstellung dieser Zahlen lässt daher keinen Rückschluss darauf zu, dass Nordrhein-Westfalen Jurist:innen über den eigenen Bedarf hinaus ausbildet.
Zwar bildet Nordrhein-Westfalen 24 % der Rechtsreferendar:innen in Deutschland aus, dieser Prozentsatz entspricht jedoch auch in etwa dem Bevölkerungsanteil Nordrhein-Westfalens an der Gesamtbevölkerung Deutschlands, der ca. 22 % beträgt. Diese Größenordnung trifft auch auf den Anteil der Berufsträger:innen der klassischen volljuristischen Berufe in Nordrhein-Westfalen zu: So befinden sich ca. 20 % aller Staatsanwält:innenstellen Deutschlands in Nordrhein-Westfalen – rechnet man die mehr als 100 unbesetzten Stellen hinzu, liegt der Anteil sogar bei mehr als 21 %. Von den Richter:innenstellen in Deutschland entfallen ca. 23,22 %. Hinzu kommen die Bedarfe an Volljurist:innen in den Kommunen und Bezirksregierungen.
Damit spiegelt die bisherige Anzahl der Rechtsreferendar:innen den Bevölkerungsanteil und den Bedarf an Staatsanwält:innen, Richter:innen, und Volljurist:innen in Nordrhein-Westfalen insgesamt wieder.
Unabhängig davon vergisst die nordrhein-westfälische Landesregierung in ihrer Argumentation, dass nicht nur Volljurist:innen im Staatsdienst benötigt werden, sondern auch in der freien Wirtschaft als Anwält:innen. Von allen in Deutschland zugelassenen Anwält:innen entfallen 23,56 % auf Nordrhein-Westfalen. Diese sind bei der Bedarfsberechnung ebenfalls zu berücksichtigen, ist die Ausbildung der Volljurist:innen doch staatliche Aufgabe. Ebenfalls nicht bedacht wird bei der Berechnung des Bedarfs an Volljurist:innen die Tatsache, dass durch die bevorstehende Pensionierungswelle in naher Zukunft deutlich mehr Stellen als bisher besetzt werden müssen.
Eine Reduzierung der Referendariatsstellen auf 3.000 würde folglich eine Ausbildung von Volljurist:innen unterhalb des Bedarfs von Nordrhein-Westfalen zur Folge haben.
Dies zeigt sich auch in der Praxis: So warnten nach Bekanntwerden des Vorhabens der Landesregierung sowohl der Deutsche Anwaltverein e.V. als auch der Deutsche Richterbund e.V. eindringlich vor einer Reduzierung der Ausbildungsplätze in Nordrhein-Westfalen. Die Petition der RefKo und LFS NRW, die sich gegen diese Pläne richtet, unterzeichneten bereits mehr als 5.000 Personen.
Um das angedachte Ziel von 3.000 Referendar:innen zu erreichen, werden die Einstellungen bereits ab Juli 2024 deutlich zurückgefahren. Gleichzeitig wurde der voraussichtliche Einstellungstermin vieler der sich im Bewerbungsverfahren befindlichen Absolvent:innen der ersten Prüfung um bis zu sechs Monate verschoben. Perspektivisch werden Bewerber:innen in Nordrhein-Westfalen auch unabhängig von der aktuellen Verschiebung der Einstellungstermine länger auf einen Ausbildungsplatz warten und ihre weitere volljuristische Ausbildung für diesen Zeitraum unterbrechen müssen oder gar nicht erst beenden.
Dies erweist sich auch unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit als problematisch: Eine Reduzierung der Einstellungskapazitäten trifft gerade diejenigen Bewerber:innen schwerer, für die die Finanzierung der juristischen Ausbildung ohnehin eine Herausforderung darstellt. Verlängerte Wartezeiten schaffen eine Phase des “Leerlaufs”, die finanziell überbrückt werden muss. Die Aufnahme des juristischen Vorbereitungsdienstes darf aber keine Frage werden, die von individuellen finanziellen Möglichkeiten abhängt.
Verkürzung des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses und Vorverlegung der mündlichen Prüfung
Neben der Reduzierung der Neueinstellungen in den juristischen Vorbereitungsdienst sollen auch die Modalitäten des Rechtsreferendariats in Nordrhein-Westfalen aufgrund von finanziellen Einsparungen angepasst werden. So plant das Justizministerium die Verkürzung des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses von bisher 26 auf 25 Monate, indem die mündliche Prüfung der zweiten Staatsprüfung in diesen Monat vorverlegt wird.
Die Regelung gilt – nach Anpassung durch das LJPA – nun für alle Personen, die ab Dezember die Aufsichtsarbeiten der zweiten Staatsprüfung ablegen. Den Personen, die zwischen September und November ihre Aufsichtsarbeiten absolvieren, ist freigestellt, ob sie ihre mündliche Prüfung im 25. oder 26. Ausbildungsmonat ablegen möchten.
Dass den Prüflingen zwischen der Beendigung der Wahlstation und der mündlichen Prüfung ein freier Monat gewährt würde, der zur Prüfungsvorbereitung genutzt werden kann, wurde den Rechtsreferendar:innen sowohl zu Beginn des Vorbereitungsdienstes als auch auf der Website des LJPA kommuniziert.
Aus diesem Grund konnten alle Referendar:innen, die den Vorbereitungsdienst bereits vor Bekanntwerden der Vorverlegungsabsichten des Justizministeriums aufgenommen haben, darauf vertrauen, ihre mündliche Prüfung im 26. Ausbildungsmonats ablegen zu können. Eine Ausweitung des Übergangszeitraums auf alle Schreibdurchgänge einschließlich November 2024 ist daher nicht ausreichend. Die Vorverlegung des Prüfungszeitraums bei einem Übergangszeitraum von weniger als einem halben Jahr hat nun zur Folge, dass viele Referendar:innen ihre Wahlstation und Prüfungsvorbereitung umplanen müssen.
Im Rahmen der Novellierung des Juristenausbildungsgesetzes wurde sich 2021 bewusst dafür entschieden, die Wahlstation um einen Monat zu verlängern und damit eine individuellere Ausgestaltung des juristischen Vorbereitungsdienstes zu ermöglichen. Durch eine Vorverlegung der mündlichen Prüfung in den 25. Ausbildungsmonat fallen nun nicht mehr nur die Aufsichtsarbeiten in den Zeitraum der Wahlstation, sondern auch die Vorbereitung auf die mündliche Prüfung. Neben der Tatsache, dass den Referendar:innen somit weniger Zeit für die Wahlstation an sich bleibt, wird auch die individuelle Ausgestaltung der Wahlstation erheblich erschwert, beispielshaft zu nennen ist hier das Absolvieren der Wahlstation bei einer ausländischen Stelle. Mit der Vorverlegung der mündlichen Prüfung in den 25. Ausbildungsmonat schafft das Justizministerium Tatsachen, die dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich widersprechen.
Streichung der Unterhaltsbeihilfe ab dem Tag der mündlichen Prüfung
Gleichzeitig mit der Verkürzung des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses und Vorverlegung der mündlichen Prüfung planen das Finanz- und Justizministerium eine Änderung der Verordnung über die Gewährung einer monatlichen Unterhaltsbeihilfe an Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare (UBeihilfVO), wonach künftig die Unterhaltsbeihilfe nur noch bis zum Tag der mündlichen Prüfung – statt wie bisher bis zum Ende des Monats, in den die mündliche Prüfung fällt – ausgezahlt wird.
Durch diese Maßnahme dürfte sich ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand für das Landesamt für Besoldung und Versorgung NRW (LBV NRW) ergeben, da für jede:n Rechtsreferendar:in einzeln und innerhalb eines kurzen Zeitraums geprüft werden muss, bis zu welchem Zeitpunkt die Unterhaltsbeihilfe ausgezahlt wird.
Kommunikation der geplanten Maßnahmen
Neben der Auffassung der Landesregierung, dass sowohl Einsparungen im juristischen Vorbereitungsdienst als auch der Inhalt der Maßnahmen geboten seien, kritisieren wir insbesondere die erneut völlig unzureichende Kommunikation der Entscheidungsträger:innen.
Im Vorfeld der schrittweisen Bekanntmachung der geplanten Maßnahmen wurden die Interessenvertretungen der Referendar:innen, insbesondere die Bezirkspersonalräte als gewählte Personalvertretungen, weder angehört noch konsultiert oder auf sonstige Weise eingebunden.
Nachdem ursprünglich die mündliche Prüfung bereits ab dem Schreibdurchgang September 2024 obligatorisch in den 25. Ausbildungsmonat vorverlegt werden sollte, ermöglichte das LJPA nun eine Woche später aufgrund massiver Kritik den betroffenen Rechtsreferendar:innen bis einschließlich des Schreibdurchgangs November 2024 die Wahl des Zeitpunkts der mündlichen Prüfung. Dass ein Übergangszeitraum von nicht einmal drei Monaten für die betroffenen Rechtsreferendar:innen nicht ausreichend ist, um auf die geänderten Rahmenbedingungen zu reagieren, hätte jedoch von Anfang an bedacht werden müssen.
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg getroffen werden und die Interessen (angehender) Rechtsreferendar:innen und späteren Volljurist:innen bei Politik und Verwaltung erst dann Beachtung finden, wenn der öffentliche Druck groß genug ist. Die Kurzfristigkeit der Maßnahmen sowie die Art und Weise der Kommunikation des LJPA senken nicht nur die Attraktivität Nordrhein-Westfalens als Ausbildungsstandort, sondern erschüttern auch das Vertrauen in die Justiz als Arbeitgeberin für den dringend benötigten volljuristischen Nachwuchs.
Als Interessenvertretungen der Rechtsreferendar:innen in Deutschland sowie der Studierenden in Nordrhein-Westfalen sprechen wir uns daher entschieden gegen die geplanten Kürzungen der Einstellungen sowie die kurzfristige Reduzierung der Dauer des juristischen Vorbereitungsdienstes einschließlich der Auswirkungen auf der Zahlung der Unterhaltsbeihilfe aus. Wir fordern die Landesregierung auf, von einer Umsetzung der geplanten Maßnahmen abzusehen und einen Regierungsentwurf für den Haushalt vorzulegen, in dem keine Kürzungen des Budgets für die juristische Ausbildung vorgesehen sind. Nur so kann die Funktionsfähigkeit der Justiz nachhaltig gewährleistet werden.