24. Oktober. 2024
Sehr geehrter Herr Präsident Kuper,
sehr geehrter Herr Vorsitzender des Rechtsausschusses Dr. Pfeil,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
die Referendariatskommission (RefKo) beim Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. (BRF) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Antrag der Fraktion der FDP (Drucksache 18/9726) und den – dem Antrag zugrundeliegenden – geplanten Maßnahmen der Landesregierung zum juristischen Vorbereitungsdienst im Land Nordrhein-Westfalen.
Die geplanten und teilweise bereits umgesetzten Maßnahmen erweisen sich – gemessen an dem Potential der finanziellen Einsparungen und den tatsächlichen Auswirkungen auf die Ausbildungskapazitäten im juristischen Vorbereitungsdienst – als unverhältnismäßig. Aus diesem Grund lehnen wir die bestehenden Pläne der Landesregierung zur Deckelung der Ausbildungsplätze im juristischen Vorbereitungsdienst vollumfänglich ab. Finanzielle Kürzungen in der juristischen Ausbildung sind grundsätzlich zu vermeiden. Selbst eine noch so angespannte Haushaltslage darf nicht dazu führen, dass die bereits begrenzten Kapazitäten im juristischen Vorbereitungsdienst weiter sinken. Vielmehr halten wir Investitionen in die Qualität der juristischen Ausbildung für dringend geboten.
Seit Jahren ist der juristische Vorbereitungsdienst nicht auskömmlich finanziert und bleibt hinter den Anforderungen an eine zeitgemäße und zukunftsgerichtete Ausbildung zurück. Mit den geplanten Einsparmaßnahmen kommt die Landesregierung ihrer Verpflichtung gegenüber den Rechtsreferendar:innen nicht nach.
Aus der Gliederung der zweistufigen juristischen Ausbildung bei gleichzeitigem Ausbildungsmonopol der Länder für die Aufnahme in den und die Ausbildung im juristischen Vorbereitungsdienst folgt eine besondere Verpflichtung der Länder gegenüber den Absolvent:innen der ersten Prüfung. Diese sind zeitnah in den juristischen Vorbereitungsdienst zu übernehmen. Solange die Tätigkeit als Volljurist:in die Ableistung des juristischen Vorbereitungsdienstes voraussetzt, sind die – ohnehin begrenzten – Ausbildungskapazitäten nicht allein am Personalbedarf im Justizdienst oder am allgemeinen Arbeitsmarkt ausgerichtet werden, sondern an den tatsächlichen Absolvent:innenzahlen der ersten Prüfung.
Es ergeben sich darüber hinaus auch erhebliche Zweifel an der Prognose der Landesregierung, dass die geplanten Einsparungen keine Verschärfung der bereits bestehenden Nachwuchsprobleme in der Justiz nach sich ziehen würden. 1 Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Anzahl der verfügbaren Bewerber:innen für volljuristische Berufe außer Zusammenhang mit der Anzahl der Absolvent:innen des juristischen Vorbereitungsdienstes stehen sollte. Wenngleich sich die Nachwuchsgewinnung in der Justiz nicht an alle Absolvent:innen des juristischen Vorbereitungsdienstes richtet, ignoriert die Landesregierung dabei, dass eine geringere Anzahl von Absolvent:innen den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt insgesamt verschiebt.
Auch treffen die Hervorhebungen der Landesregierung zur „hohen Qualität” des juristischen Vorbereitungsdienstes in Nordrhein-Westfalen2 nicht zu: So führt die Landesregierung unter anderem an, dass die Wartezeiten für die Aufnahme des juristischen Vorbereitungsdienstes auch künftig noch „moderat” respektive „zumutbar” seien. Jedoch hat sich durch die Reduzierung der Neueinstellungen schon nach wenigen Monaten die Wartezeit für die Einstellung erheblich verlängert. Die durch die Landesregierung errechneten und prognostizierten Wartezeiten stimmen schon jetzt nicht mehr mit den Angaben der zuständigen Oberlandesgerichte überein. Vielmehr zeigen sich bereits jetzt erhebliche Abweichungen.
So geht die Landesregierung für das OLG Köln erst ab Mai 2025 von einer Wartezeit von 13,8 Monaten aus.3 Tatsächlich beträgt die Wartezeit nach Angaben des OLG Köln bereits zum jetzigen Zeitpunkt „über ein Jahr“.4 Für Einstellungen im Bezirk des OLG Düsseldorfs legt die Landeregierung ab Mai 2025 eine voraussichtliche Wartezeit von 9,2 Monaten zugrunde; ausweislich der Informationen des OLG Düsseldorfs liegt die Wartezeit gegenwärtig bereits bei circa 15 Monaten.5 Für das OLG Hamm prognostizierte die Landesregierung bei einer Meldung im Mai 2025 noch eine deutlich kürzere Wartezeit von 4,7 Monaten. Dagegen rechnet das OLG Hamm nunmehr mit einer Wartezeit von 8 Monaten.6
Es ist nicht zu erwarten, dass es sich hierbei nur um einen kurzen Adaptionsprozess handelt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich die Wartezeiten künftig auf einem mindestens vergleichbaren langen Niveau stabilisieren. Nach Angaben der Landesregierung erhöht sich die Wartezeit sogar mit jedem Monat, in dem die Neueinstellungen nicht wieder angehoben werden, linear weiter. Dabei trifft eine Reduzierung der Einstellungskapazitäten gerade diejenigen Bewerber:innen schwerer, für die die Finanzierung der juristischen Ausbildung ohnehin eine Herausforderung darstellt und die entsprechenden Wartezeiten zwischen der ersten Prüfung und dem juristischen Vorbereitungsdienst nicht ohne weiteres überbrücken können.
Gemessen an der Dauer der juristischen Ausbildung insgesamt und den nur eingeschränkten Überbrückungsmöglichkeiten erweist sich eine Wartezeit von acht Monaten und mehr weder als „moderat“ noch als „zumutbar“. Hinzu kommt, dass die Wartezeit für die Absolvent:innen nicht planbar ist. Stattdessen müssen sie jederzeit mit einer kurzfristigen Zusage zur Übernahme in den juristischen Vorbereitungsdienst rechnen oder alternativ eine weitere Verlängerung ihrer Wartezeit in Kauf nehmen.
Auch in den übrigen Punkten, die die Landesregierung für die „hohe Qualität des juristischen Vorbereitungsdienstes in Nordrhein-Westfalen“ anführt, handelt es sich im Wesentlichen um Mindestvoraussetzungen einer qualitativen Ausbildung im juristischen Vorbereitungsdienst und eines zeitgemäßen Prüfungssystems in der zweiten Staatsprüfung.
- Es befremdet, wenn die Landesregierung die Zurverfügungstellung von einheitlichen Unterrichtsmaterialien – in fast allen Arbeitsgemeinschaften – etwa 80 Jahre nach Gründung des Landes Nordrhein-Westfalens und der Durchführung des juristischen Vorbereitungsdienstes als hochwertiges Qualitätsmerkmal herausstellt.
- Solange die Aufsichtsarbeiten für die zweite Staatsprüfung von entscheidender Bedeutung sind und auch das Land Nordrhein-Westfalen ein empfindliches Eigeninteresse an überdurchschnittlichen Absolvent:innen der zweiten Staatsprüfung hat, ist auch das Angebot eines begleitenden Klausurenkurses für den juristischen Vorbereitungsdienst eine zwingende Voraussetzung. Hierbei stellt die fehlende Korrektur des Klausurenkurses vielmehr ein qualitatives Defizit der Ausbildung in Nordrhein-Westfalen dar. Die Unterfinanzierung des juristischen Vorbereitungsdienstes führt bereits jetzt dazu, dass eine gute Vorbereitung auf die zweite Staatsprüfung an die (privaten) finanziellen Möglichkeiten zur Bezahlung privater Korrektor:innen geknüpft ist.
- Auch die Auseinandersetzung mit dem NS- und SED-Unrecht muss für die Ausbildung kritisch denkender Volljurist:innen und die Erhaltung eines wehrhaften Rechtsstaats obligatorisch sein.
- Schließlich ist auch ein Anspruch auf die elektronische Anfertigung der Examensklausuren sowie der Zugriff auf Online-Datenbanken im Jahr 2024 nicht mehr wegzudenken.
Wir möchten nochmals hervorheben, dass es zur Sicherung einer zeitgemäßen und qualitativ hochwertigen juristischen Ausbildung in Zukunft weiterer Maßnahmen und Investitionen in den Vorbereitungsdienst bedarf. Wir betrachten daher die Argumentation der Landesregierung mit Besorgnis, dass Einsparungen im juristischen Vorbereitungsdienst notwendig sind, da anderenfalls Kürzungen vorzunehmen wären, die geeignet sind, die Funktionsfähigkeit der Justiz zu beeinträchtigen. Wir können nicht umhin, darin ein grundlegendes Defizit der Ausgestaltung und der Finanzierung der juristischen Ausbildung in Nordrhein-Westfalen insgesamt zu erkennen.
Im Übrigen wird zu den geplanten Maßnahmen der Landesregierung im Allgemeinen sowie der Vorverlegung der mündlichen Prüfung in den 25. Ausbildungsmonat, der Zahlung der Unterhaltsbeihilfe bis zum Zeitpunkt der mündlichen Prüfung und der Kommunikation des Ministeriums der Justiz und des Landesjustizprüfungsamts im Besonderen auf die anliegende gemeinsame Stellungnahme der Referendariatskommission beim Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. und der Landesfachschaft Jura Nordrhein-Westfalen e.V. vom 2. Juli 2024 verwiesen.
Die Forderung gegen die Sparmaßnahmen zulasten der angehenden Rechtsreferendar:innen in Nordrhein-Westfalen werden mittlerweile durch 6.250 Unterzeichner:innen einer gleichnamigen Petition unterstützt.